Misophonie-Trigger

Schriftzug Trigger, darüber ein Totenkopf über gekreuzten Schwertern

Jeder Misophoniker hat seine persönlichen Trigger, die eine zentrale Rolle in seinem Leben spielen. Ein Trigger ist etwas, was er hört oder sieht, beispielsweise wenn jemand kaut, beim Reden leicht mit den Lippen schmatzt, oder pfeift. Geräusche wie diese reizen einen Misophoniker, und die anfängliche Irritation verwandelt sich schnell in extreme Wut, Hass oder Ekel. Diese Reaktionen sind unfreiwillig und es ist dem Misophoniker nicht möglich, Ruhe zu bewahren.
Die sofortige negative Reaktion auf einen Trigger ist das Kennzeichen der Misophonie. Zu diesen Emotionen kommen physiologische Reaktionen hinzu: Muskelanspannung, beschleunigter Herzschlag, Schwitzen oder extreme Stressgefühle. Selbst wenn der Trigger aufhört, bleibt der emotionale Aufruhr, und oft spielt sich das Triggergeräusch auch noch danach wiederholt im Kopf ab. Während ein Trigger den Misophoniker in einem einzigen Augenblick von 0 auf 100 bringen kann, dauert es unter Umständen Stunden, bis er sich wieder beruhigt.

Ein Glas Eistee
Bild: Corel Photo

Die Auswirkungen von Misophonie reichen von „fast nicht bemerkbar“ bis zu „extrem einschränkend“. Ich habe einmal einen Mann kennengelernt, der nur einen einzigen Trigger hatte, nämlich das Klimpern des Löffels beim Umrühren von Eistee. Er kann dieses Geräusch nicht verkraften, aber da niemand in seiner Familie Eistee trinkt, hört er den Trigger fast nie, und daher wirkt sich seine Misophonie auch kaum auf sein Leben aus. Eine junge Frau, die ich kenne, hat ebenfalls nur einen Trigger, doch dieser ruiniert ihr Leben. Ihr Trigger: das Geräusch von zwei oder mehreren Frauen, die sich unterhalten. Da sie eine fast ausschließlich weibliche Fachrichtung studiert, ist sie dauernd ihrem Trigger ausgesetzt – ihr Studium ist die Hölle.

Die Entstehung von Misophonie-Triggern

Misophonie-Trigger entstehen meist in ganz normalen Alltagssituationen im familiären Umfeld. In einer Umfrage aus dem Jahr 2013 sagten zwei Drittel der befragten Misophoniker, dass Kau- oder Essgeräusche ihre schlimmsten Trigger seien. 10% nannten Atemgeräusche als ihren Haupttrigger. Bei den übrigen 25% sind es die unterschiedlichsten Auslöser, wie z. B. Bassgeräusche durch die Wand, ein bellender Hund, Husten, das Klicken eines Kugelschreibers, Pfeifen, das Reden der Eltern, das Zischen in Wörtern wie „Ross“ oder „Chips“ und Tastaturgeräusche. Diese Liste ist keineswegs vollständig, denn jegliche sich wiederholenden Geräusche oder visuellen Eindrücke, und in seltenen Fällen sogar etwas, was man fühlt, riecht oder spürt, können zu Triggern werden.
Ob ein Geräusch zum Trigger wird, liegt nicht an dem Geräusch an sich, sondern an den Umständen unter denen es wahrgenommen wird.
Zu Anfang wirkt nur ein einziges Geräusch, das vielleicht sogar nur von einer einzigen Person stammt, als Trigger. Nach und nach weitet er sich auf ähnliche Laute, andere Umgebungen, schließlich alle Personen, die das bestimmte Geräusch machen und visuelle Eindrücke, die der Misophoniker mit dem Geräusch verbindet, aus. Misophonie kann auch mit einem visuellen Trigger beginnen, was aber eher selten vorkommt. Gewöhnlich beginnt alles mit einem Triggergeräusch, nach und nach können dann auch visuelle Eindrücke, die mit dem Trigger zusammenhängen, misophonische Reaktionen auslösen.
Wenn beispielsweise Kaugeräusche Trigger sind, dann kann schon die Beobachtung triggern, wenn jemand Essen zum Mund führt oder nach den Kartoffelchips greift.
Visuelle Eindrücke, die eng mit einem Trigger verbunden sind, können auch allein (also ohne das dazugehörende Geräusch) eine misophonische Reaktion auslösen. Nehmen wir einen Misophoniker, dessen Trigger schmatzendes Kaugummikauen ist. Wenn er Kieferbewegungen sieht, verknüpft er dieses Bild unbewusst mit Kauen, was er wiederum mit Kaugummikauen verbindet, und schon wird die Kieferbewegung zu einem visuellen Trigger.

Welche Geräusche werden zu Triggern?

Es gibt eine große Bandbreite von Triggern. Obwohl Kau- und Atemgeräusche besonders häufig vorkommen, kann auch jedes andere sich wiederholende Geräusch zum Trigger werden. Niemand hat sämtliche Trigger. Jeder Misophoniker hat seine eigene Kombination.
Der erste Trigger eines Misophonikers stammt immer von einer ganz bestimmten Person oder aus einem bestimmten Bereich seines Lebens. Es können Vogelgezwitscher, Grillenzirpen, klopfende Rohre, bestimmte Worte, die Geräusche von technischen Geräten u.ä. sein. Häufig sind es Essgeräusche, z.B. wenn jemand Popcorn isst oder (sehr häufig) das Platzen von Kaugummiblasen.
Für manche Misophoniker ist ein Geräusch nur dann ein Trigger, wenn eine bestimmte Person sie macht. Einer meiner Patienten war ein 15-jähriger Junge, der misophonische Reaktionen hatte, wenn seine Mutter etwas Knuspriges aß. Ich stellte ihn mit dem Gesicht zur Wand und steckte mir Kartoffelchips in den Mund. Keine Reaktion. Seine Mutter tat das Gleiche und er reagierte sofort mit: „Igitt! Das ist es!“ Dahingegen gibt es andere, die immer auf dieselbe Art von Geräusch reagieren, egal von wem es stammt.
Ich hatte eine Frau in Behandlung, deren Trigger ihr Ehemann war, wenn er „äh“ sagte. Dieser einsilbige Laut löste in niemandem sonst eine Reaktion aus, und es störte sie auch nicht, wenn andere ihn machten. Es war ihr ganz persönlicher Trigger. Eine andere Frau konnte es nicht aushalten, wenn ihr Mann knuspriges Brot aß. Für einige Kinder ist die Stimme eines Elternteils ihr Trigger, aber nicht Stimmen im Allgemeinen.
Ich kenne einen Mann in den 40ern, vor dessen Fenster Vögel ihr Nest bauten. Es handelte sich um Spottdrosseln, die 24 Stunden am Tag zwitschern, und das taten sie nun direkt vor seinem Schlafzimmerfenster. Dieser Vogelgesang entwickelte sich zu seinem Trigger.
Die meisten Misophoniker haben Trigger, die von Menschen erzeugt werden. Einige reagieren aber auch auf Geräusche von Dingen, wie z.B. klopfende Rohre, tickende Uhren, Haartrockner, elektrische Rasierapparate. Trigger basieren auf den eigenen, einzigartigen Erfahrung mit Geräuschen.
Der Grund für die vielen übereinstimmenden („typischen“) Trigger ist, dass wir viele Erfahrungen und Aktivitäten gemeinsam haben. Wir essen oft gemeinsam mit anderen Menschen, hören andere atmen, und wenn wir mit einem Allergiker zusammen wohnen, gehören die mit einer gereizten Nasenschleimhaut verbundenen Geräusche zum Alltag. Diese Erfahrungen führen zu häufig vorkommenden Triggern, schließen aber nicht die Entwicklung seltenerer individueller Trigger aus.

Die Ausbreitung von Misophonie-Triggern

Schriftzug Trigger, von dem mehrere Pfeile ausgehen
Bild: Andreas Seebeck

Stellen Sie sich vor, Ihr Trigger wären Kaugeräusche. Nun sitzen Sie also am Esstisch, hören jemanden kauen und bemerken gleichzeitig das Kratzen der Gabeln auf den Tellern. Dieses Kratzen kann Ihr nächster Trigger werden. Oder Sie reagieren zunächst nur auf das Kauen, hören aber gleichzeitig, wie jemand schnieft. Nun lösen plötzlich beide Geräusche eine misophonische Reaktion bei Ihnen aus. Ein anderes Szenario wäre, dass nur das Kaugeräusch einer bestimmten Person Ihr Trigger ist, doch dann bemerken Sie die Essgeräusche der anderen Personen am Tisch. Sie könnten zunächst auf alle Geräusche dieser Personen reagieren, und schließlich von jeder beliebigen kauenden Person getriggert werden.
Wenn ein Geräusch gleichzeitig mit Ihrem Triggergeräusch auftritt, oder auch nur in dem Moment, in dem Sie noch durch Ihren Trigger verärgert sind, kann dieses neutrale Geräusch zu einem neuen Trigger werden. Das Gleiche trifft auf visuelle Trigger zu. Obwohl Misophonie meist mit einem akustischen Auslöser beginnt, kann ein sich wiederholender visueller Eindruck, der gleichzeitig mit dem akustischen Trigger auftaucht, schnell zu einem visuellen Auslöser werden. Wenn Sie zum Beispiel auf das Geräusch einer platzenden Kaugummiblase reagieren, sehen Sie gleichzeitig die Kaubewegungen Ihrer Triggerperson. Diese Bewegung wird Ihr neuer unabhängiger Trigger. Selbst wenn Sie aufgrund von Ohrstöpseln gar nichts hören oder durch ein Fenster jemanden beim Kaugummikauen nur sehen, aber nicht hören können, kann die Kieferbewegung bereits eine Reaktion in Ihnen triggern.

Übliche misophonische Trigger

Geräusche / Audio-Trigger:

  • Essgeräusche: Kauen, Zähneknirschen, schmatzen, Schlucken, mit vollen Mund reden
  • Geräusche, die am Esstisch gemacht werden: das Kratzen der Gabel auf dem Teller oder an den Zähnen, das Klimpern eines Löffels gegen einen Schüsselrand, Klirren von Gläsern
  • Trinkgeräusche: Schlürfen, nach einem Schluck „ah“ sagen, Schlucken, nach einem Schluck durchatmen
  • andere Mundgeräusche: an den Zähnen saugen, Küssen, Zahnseide benutzen, Zähne putzen
  • verwandte Geräusche: eine Kartoffelchipstüte aufmachen, eine Plastikflasche quetschen, eine Tasse absetzen Atemgeräusche: Schniefen, Schnauben, durch die Nase atmen, regelmäßiges Atmen, Schnarchen, pfeifender Atmen,
  • Gähnen, Husten, Räuspern, Schluckauf
  • Verbale Trigger: Konsonanten (besonders S und P), Vokale (weniger üblich), das „Plopp“-Geräusch mit den Lippen, heisere oder raue Stimmen, Flüstern, bestimmte Worte, Unterhaltungen, Fernseher durch die Wand hören, Singen, Summen, Pfeifen, Murmeln, das Wort „eh“
  • übliche Geräusche rund ums Haus: Bass durch die Wände, Zuwerfen von Türen, das Brummgeräusch des Kühlschranks, Haartrockner, elektrischer Rasierer, Nagelklipsen, Scharren von Füßen, Flip-Flops, schwere Fußtritte, Laufen auf oberem Stockwerk, Gelenkknacken, Kratzen, das Ticken einer Uhr, das Klopfen von Rohren, weinendes Baby, Toilettenspülung
  • übliche Geräusche am Arbeitsplatz, bzw. in der Schule: Tippen, Mausklicken, Umblättern, mit einem Bleistift auf Papier schreiben, Kopierer, das Klicken eines Kugelschreibers, das Klopfen eines Stiftes oder Fingers auf dem Tisch
  • andere Geräusche: landwirtschaftliche Geräte, Pumpen, Rasenmäher, aufprallende Bälle, Piepton beim Einlegen des Rückwärtsgangs, Verkehrsgeräusche, Piepton beim Autoschließen, das Zuschlagen einer Autotür
  • Tiergeräusche: Fellpflege bei Hund oder Katze, Hundegebell, Krähen eines Hahnes, Vogelgezwitscher, Grillengezirpe, Frösche, Kratzen, Gewinsel

Visuelle Trigger

  • Kieferbewegung (Kauen), das Gesicht berühren, auf einem Smartphone scrollen, mit dem Finger zeigen, mit dem Fuß wippen, mit einer Haarsträhne spielen, Essen zum Mund führen, mit den Fingern klopfen, Zwinkern

Geruchstrigger

  • bestimmte Gerüche (selten)

Taktile Trigger

  • eine Tastatur anfassen, bestimmte Textilien (selten)

Weitere Trigger

  • Vibrationen von Bass, das Stoßen gegen Schreibtisch oder Stuhl, schwere Schritte

Aus: Misophonie verstehen und überwinden von Thomas Dozier

Titelbild: Andreas Seebeck